[ Zurück zum Textarchiv ] |
Ein Märchen von Till Mairhofer |
zur Rauminstallation "Absolut Reines Gold", in der Galerie K2, Sierning. Eröffnung und Erstlesung am 17. März 2016 |
als .pdf zum Ausdrucken |
Abgekratzt Johannes oder das
Märchen vom Gold Johannes war ein braver Junge, der
hatte reiche aber auch liebe Eltern, eine jüngere Schwester, jedoch mit
dem Besuch des Gymnasiums begann seine liebe Not. Faul wie ein feuchter
Fetzen, meinte sein Klassenvorstand, aber wenn ich dich an die Wand werfe,
bist Hannes selbst zum Herunterfallen du zu faul. Hannes!, warum hast du
schon wieder deinen Malbecher vergessen? Schillers Glocke auswendig zu
lernen ist die Strafe, du weißt, so ein weiterer Pädagoge. Was hast du zu
deiner Verteidigung vorzubringen? – Auf dem Weg von der Ennsleite die
Damberggasse hinab . . . – Hannes, fasse dich kurz! . . . – fiel mir
der Becher aus der Schultasche, rollte erst den Gehsteig hinunter, dann
auf die abschüssige Straße . . . – Und? – . . . wurde von einem Steyr-LKW
überfahren. – Für diese gut erfundene Geschichte deiner Ausrede, Hannes,
erlasse ich dir die Strafe, merke aber, was Schiller dir zuruft:
Wo Starkes sich und Mildes paarten,
Da gibt es einen guten Klang.
Drum prüfe, wer sich ewig bindet,
Ob sich das Herz zum Herzen findet!
Der Wahn ist kurz, die Reu ist lang. Bald verließ Johannes die höhere allgemeinbildende
Schule, erlernte den Beruf seines Vaters, diente bei ihm sein Meisterjahr,
vergoldete gemeinsam Speisegitter in Kirchen und als – ganz plötzlich –
sein Vater jung verstarb, in dessen Nachfolge Kelche, Monstranzen und
Tabernakel. Daneben studierte er auf der Hochschule Kunst, aber die Welt
machte nicht halt vor und inmitten all seines ererbten Goldes, das wie
Stroh schon zu Geld gesponnen, zur Maximierung bereit lag.
Dort, wo zwischen Steyr und Perg im Granitsteinbruch
des ehemaligen KZs Mauthausen jetzt in den 1980er Jahren die so
genannten Hochschulflüchtlinge der Klasse Gsöllpointner – zwischen
Lagerfeuern und Most – arbeiteten, bis eine Tafelaufschrift
›Todesstiege wegen Renovierung geschlossen‹ sie, wie Johannes später
noch vieles, vor den Kopf stieß. Auch die Überbringung der Nachricht
vom Tod seiner Mutter. Zeitungsfotografen riefen an. Ob er nicht
wisse. . . ? – Nein! was . . . ?, daß eine einzige Pappel in der
jugoslawischen
Bora auf ein einziges Urlaubsauto auf den Beifahrersitz gefallen sei,
auf dem seine Mutter tödliche Verletzungen erlitten.
Die vierzehnjährige Schwester einst hatte ihn aus einem schwarzen Loch
gerettet, jetzt aus Südafrika, dem Land des Kaps Der guten Hoffnung
wieder zurückgekehrt, meinte sie, Johannes! wir müssen wieder zu Boden
blicken und der ältere Bruder nahm sie beim Wort, besuchte sie, die
ausgewandert, wenig später in Florida und entlieh sich für ihre
Eheschließung ein Kostüm a la Miami Vice. Selber heiratete er auch
gleich, allerdings in Hausschuhen & Urlaubskleidung auf dem
Ocean-Key-House, nicht ohne vorher, in Anwesenheit mehrere Notare,
erstmals Gold aus einem Helikopter zu versenken im
Big Cypress Nationalpark.
Und wenn nicht jetzt, dann nimmermehr, unsere Mär, das Märchen vom
Gold, mag so nun endlich beginnen, daß nachdem unser Hanns nunmehr
gedient, endlich aufbrach. Mein Klumpen, den es gilt heimzutragen ist
zwar aus purem Gold, aber es lastet so schwer auf meiner Schulter, daß
ich den Kopf dabei nicht gerade halten kann. Und so bildeten sich in
seinem Gehirn jede Menge schräger Gedanken und Ideen. Verwirrt vom Ich
und dem Du, das immer der Andere, beseelt von einem heilenwollenden
Willen verbanden die Zwei und die Sieben sich zur Zahl
Siebenundzwanzig, welche in Quersumme die Neun ergibt, welche geteilt
durch die göttliche Drei sich zurückführen läßt auf die Trinität.
Hanns, der Transformateur, war geboren und mit ihm in Israel am
tiefsten Punkt der Erde die erste Wiedergutmachung, um der Erde ihr
geraubtes Gold wiederzugeben. An der Spitze des virtuellen Dreiecks
steht die Kunst, auf seiner Hypotenuse das Bodengold. Linkerhand im
Punkt A ich : das Werk des Künstlers, rechterhand im Punkt B aber an
dem Platz, den ich freigebe : du! Ich gebe dank deiner Hilfe das Gold
in einem lebenslangen Procedere der Erde zurück, dachte Hanns und war
glücklich.
So gestärkt, weil in sich bestätigt, entschied Hanns : Auch wenn die
Beschaffung des Goldes auf Ausbeutung und Raub beruht, die Erdkraft
ist eine Gutkraft. So will ich mich daranmachen, dem materiellen Gold
das immaterielle gegenüber zu stellen. Und da ihn der Klumpen auf
seinen Schultern mehr und mehr drückte, entschloß sich Hanns, sein
Gold einzutauschen, um es zu transzendieren.
Wie anfangs das Pferd seinen Reiter, aber je geübter später auch
umgekehrt, jagte Hanns seinen Gedankensprüngen nach oder wurde von
ihnen gejagt. Soziales Gold, um menschliches Leid zu verringern. Bei
jedem Verkauf eines Goldobjekts einen Teil des Verkaufspreises sozial
bedürftigen Menschen zufließen zu lassen, so möge zukünftig meine
›Goldene Regel‹ lauten. So ritt er wohlgemut eine Weile dahin und sah
sein nächstes Projekt vor Augen. Johannes Goldhoff würde er sich
fortab nennen und seine vergoldeten Platten den Menschen zufüßen
legen. Als in Weistrach, tief draußen am Land, dort wo dessen
Landesregent heute noch stolz ist, kein Buch je gelesen zu haben außer
›Der Schatz im Silbersee‹, ein Ausstellungsbesucher auf einer
vergoldeten Kindergruppe aus einem KZ-Vernichtungslager auf dem Weg in
den Tod, daneben ein nackter von Goldsuchern ermordeter Indianer,
einen Kopfstand versuchte, um sich darüber lustig zu machen, spürte
Hanns, der Demütige, in sich den und somit alle Gedemütigten.
Nichts ahnend von Gefahr
Nur die Affen schon
Versammelt in den Bäumen
Schreien schrill
Während er noch schläft
Wenn die Stadt, um ihre Bewohner zu vergolden, mir die Hand nicht
reicht, übergolde ich eben das ganze Land : ›Die goldene Empore‹.
Fast 2000 Tafeln waren mit eingetauschtem Blattgold zu überziehen.
Fünf Mitarbeiter dingte Hanns, der inzwischen die Kuh, die zu melken
ihm widerstrebte, gegen ein Schwein eingetauscht hatte, um gegen die
marktwirtschaftlichen Metzger vorzugehen, die an allem und jedem nur
ein Stück fetten Bratens rochen oder das längere Ende der Wurst. Hanns
aber bezahlte nach gefertigter Stückzahl oder Zeit, so wie jeder
seiner Arbeitnehmer dies wünschte. Jeder, sagte Hanns, schaffe sich
sein eigenes Arbeitszeitmodell, denn Lebenszeit an sich ist
unbezahlbar. So wurde circa 5 Monate lang vergoldet, jede Platte im
Ausmaß von 67 x 96 Zentimeter, Kosten 35.000 Euro, Gewinn nach
späterem Verkauf der Objekte 5000 Euro, abgeführte Spenden ebenfalls
der gleiche Betrag, blieb ein Verlust von 25.000 Euro, den Hanns als
den verbleibenden Mehrwert verbuchte. 1700 Tafeln als work in progress
blieben für die Zukunft bestehen. Das Elternhaus und ein weiteres
inzwischen verkauft, fand Hanns sich glücklich in einer neuen Wohnung
wieder, Adresse Kristallstraße, wenn das kein Vorzeichen war!
Kristalltag ward in Augenschein genommen und die Sommerolympiade zur
Jahrtausendwende in Sydney. Dreimal Australien und zurück, immer
umtriebiger wurde Hanns, als er vor Österreichs höchstem Dom auf
Warren Wuna stieß, und dieser begleitet vom Eingeborenengesang der
Aboriginals und vom (Schiller´schen?) Kirchenglockengedröhn auf Hannes
Spurenwerk verwies, ihn umarmte und seine Schminke auf Hannes Schulter
schmolz. You are my real brother. Flugzeuge waren gechartert, alle
Ausfuhrgenehmigungen eingeholt, Hunderte blattvergoldete Tafeln
sollten bei der Eröffnung der Olympischen Spiele die Laufbahn
auslegen, darunter die Geschichte des Goldes, darüber die ihre Spuren
ziehenden Sportler; nicht jeder würde hier eine Goldmedaille erringen,
aber der Olympische Gedanke : völkerverbindend, versöhnend, dabei sein
ist alles, der Weg unser wichtigstes Ziel. Bis auch hier, viel zu
spät, die Absage des Komitees erfolgte. Ich will meinen Atheleten
nichts in den Weg legen, so der Zeremonienmeister.
Man muß schon viel aufs Spiel setzen, dachte sich Hanns, aber daß
jemand durch mich ins Unglück gerät, das will ich gewiß nicht. So saß
er jetzt, buchstäblich vor die Tür gesetzt. Ein Hammerschlag hatte die
Verbundglasscheibe eines 250dm2 großen Bildinhalts
zerschlagen, die auf eine zweite geklebt war, so daß diese mit lautem
Knall barst. Sechzig Sekunden lang war ein knisterndes Geräusch zu
hören, fast so, wie wenn im Frühjahr das Eis einer gefrorenen
Wasseroberfläche, ausgesetzt der starken Sonneneinstrahlung, plötzlich
nicht mehr widersteht. Jetzt nicht einbrechen, jetzt nicht das Opfer
zum Selbstmordattentäter transformieren. Zum Gedenken an die
Reichskristallnacht diese in den ›Kristalltag‹ verwandeln. Die vom
Schicksalsschlag befreiten Risse und Bruchlinien sich verbinden sehen
mit den menschlichen Spuren, die ihn erlebt, durchlebt und überlebt
haben. Die Verfolgung verfolgend umwandeln in die Vision einer
friedvolleren Zukunft.
Vor der Obdachlosigkeit stehend, wie könnte es im Märchen anders sein,
kamen gleich mehrere Prinzessinnen Hanns ebenso sprichwörtlich wie aus
mehreren Himmelsrichtungen entgegen, boten ihm Quartier, Atelier und
Ausstellungsräume.
Aus den Flüssen seiner Vaterstadt wurden Kriegsrelikte geborgen, die
Idee geboren, sie mit Hilfe der Kunst zu Gutem zu wenden und Hanns
leitete das Projekt ›Vom Wasser bedeckt‹.
Ein Jahrhunderthochwasser hatte daran kräftigen Anteil und jede
Menge Schlamm aufgewirbelt und Treibgut. Viele packten mit an, die
Schäden zu beseitigen. Manchem Relikt aber wurde tatsächlich die
Metamorphose zum Kunstwerk zuteil und Hanns, der jetzt auch als
Betreuer in einer Tagesheimwerkstätte arbeitete, setzte neue Gedanken
um : ›Entschleunigte Kleinskulpturen in Edelmetall›‹.
Endlich begegnete Hanns auch einem Schloßherrn, der zwar nicht reich
an Gold wohl aber an an Einfluß war. Diesem gefielen die Ideen vom
Bodengold außerordentlich gut und er lud Hanns ein, im Rahmen einer
großen Gold-Hommage auf seinem wunderschönen Schloß diese zu
präsentieren : auf dem Korridor des Kammergartens, der das Untere
Belvedere mit der Orangerie verbindet. Auch ein ›Diptychon‹ im
Orangenhain sollte Hannens Absicht zeigen. Der ›Kristalltag‹ hatte
einen Ortswechsel vollzogen, ein zweiter folgte wenig später. In der
Rathauspassage seiner Vaterstadt hängt es seither dauerhaft, Hanns hat
es der Stadt geschenkt.
Und so mag es Hanns, der nun schon 27 Jahre lang kreuz und quer durch
die Welt unterwegs war, um soziale Goldrelikte zu sammeln und sein
siebenundzwanzigstes an einen goldenen Nagel hängte, ergangen sein,
als er durch das bisher letzte Dorf gekommen war, das sich heute stolz
Marktgemeinde nennt : Ich schleife die Schere und drehe geschwind, und hänge mein Mäntelchen gegen den Wind.
Noch bin ich nicht abgekratzt, aber Gekrätz habe ich genug
hinterlassen. Ab hier und jetzt kratze ich vom Blattgold zusammen, was
mir auf meinen unverkauften Platten so reichlich geblieben, aufdaß
neue Kunst entstehe. Aus der
Erde entnommen, raffiniert zu Gold, verarbeitet, dann wieder mit Erde
und Staub vermischt und erneut gereinigt im galvanischen Bad. Hanns,
wie raffiniert!
Da habe ich einen so schönen Spiegel, sagte sich Hanns, und den werde
ich abkratzen. Wie schaut der Mensch dahinter aus. Das ist doch noch
viel mehr an geleisteter Arbeit. Jeder der abkratzt, formt als
Transformator die schönsten Objekte. Und ich freue mich, daß ich mich
nicht in ihnen getäuscht habe. Drucker, Sieber, Redakteure, der
Chefredakteur und der Zeitungsmogul, alle kratzen sie ab und
hinterlassen dabei ihre Spuren, dazu noch die Bauleute, die Erbauer
der neuen Räume. Der Polier geht voran und ruft alle anderen herbei :
Da kommt her, hier steigt drauf, und dort steigt hin! Kunst am Bau,
lupenreine Kunst. Vielleicht will ich gar kein Künstler sein. So gebe
ich doch meinen Platz frei. Ich will doch, daß die anderen zu
Künstlern werden, konstruktiv destruktiv, destruktiv konstruktiv, das
ist das Wahre, das ist die Schönheit. Und ich bin nur der
Werkzeugmacher. Hanns Kopf wurde ganz weit, wenn er so sprach und
alles Wirre verwirklicht, war damit jetzt so wirklich, daß jeder, der
ihn je so erlebte, spürte : das ist ein rechter Hans im Glück.
Somit das Märchen beendet, damit auch sein Rahmen zu schließen ist.
Das Geheimnis dessen, was sich Kunst nennt, ist das Schweigen, besser
noch das Verschweigen dessen, was sie tut, denn : sie
ist einfach.
So lud Johannes zuletzt einfach sein Ich sich auf. Und rastete noch
einmal. Dabei konnte er sich des
Gedankens nicht erwehren, wie gut es wäre, wenn er gerade jetzt nichts
zu tragen bräuchte. Nicht einmal mehr die Goldkappen auf seinen
absatzlosen Waldviertler-Schuhen : seine Kampfansage, seinen
Wetzstein. Und er warf alles in den Brunnen, an dessen Rand er gerade
saß. Als er sich, so mit in die Tiefe versinken sah, sprang er auf und
dankte unter Tränen, daß ihm auch diese Gnade noch erwiesen und ihn
auf so eine gute Art, ohne daß er sich einen Vorwurf zu machen
brauchte, auch noch von den Ordnungszahlen 79 für Gold und 80 für
Quecksilber befreit hatte. Und
wie Schuppen fiel es ihm erst von der Haut, dann von den Augen, in
seinem Streben, das, was der Mensch eigentlich ist, zu werden und wozu
ihn seine Mutter geboren hatte : nämlich nach einem langen, in tausend
Irrtümer verstrickten Leben zum filius regius, zum Sohne der höchsten
Mutter, so der Analytiker. Oder, um auch dem Existentialisten
beizupflichten: Im Werk der Kunst hat die Wahrheit sich ins Seiende
gesetzt, denn Werksein heißt: eine Welt aufstellen. Im Welten ist jene
Geräumigkeit versammelt, aus der sie sich verschenkt oder versagt.
Auch das Verhängnis des Ausbleibens ist eine Weise, wie Welt weltet.
Um damit, wie es dem Märchenerzähler obliegt, ganz einfach zu
schließen : . . . und so lange er dabei noch nicht gestorben ist,
transformiert Johannes Goldhoff Angerbauer sich weiter, zumindest an
jedem Freitag jeden Jahres, der auf einen siebenundzwanzigsten fällt.
Jän. – März 2016 TM |
Informationen zu Till Mairhofer im Literaturnetz: |
http://www.literaturnetz.at/oberoesterreich/AutorInnen_64/Mairhofer_Till_767.html |