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 Rede zur Rauminstallation "Goldene Zeit Verschiebung" von Patricia Mersinger
 

Ansprache der Leiterin des Fachbereiches Kultur der Stadt Osnabrück, Patricia Mersinger, anlässlich der Ausstellungseröffnung „Goldene Zeit Verschiebung“ am 26.08.2016


Liebe Freundinnen und Freunde vom BBK,
sehr geehrte Damen und Herren,
lieber Herr Angerbauer-Goldhoff, liebe Leute vom KollektivNN,
 
als Jens Raddatz mich gebeten hat, hier einige Worte zu sagen, habe ich sofort gern zugesagt. Ich habe, wie man so schön sagt, sogar „blind“ zugesagt. Obwohl das für mich als Opfer chronischer Zeit-Armut gar nicht so einfach ist.
Aber hier weiß ich eben von vornherein, dass in dieser Galerie „Kunst-Quartier“ des BBK, immer etwas besonders Spannendes gezeigt wird. Besonders willkommen heiße ich natürlich auch meinerseits unsere Gäste:  Johannes Angerbauer-Goldhoff und das KollektivNN haben dem Galerieraum des BBK in fleißiger Vorarbeit ein neues Outfit verpasst.

Das war umso leichter, weil ja schon bewährte Verbindungen zum hiesigen Ambiente bestanden haben: Denn vor ganz wenigen Monaten, am 17. April, haben Sie diese Räume ja gewissermaßen auch schon einmal „bespielt“. Da ist das Kunst-Quartier die sogenannte „Erstaufnahmestelle“ und lokaler Teilnehmer Ihrer Wirtschafts-Flucht-Gold-Aktion „0 Cent – keine Zeit“ gewesen. Alles ebenfalls von Ihnen, hoch engagiert und politisch, überdies mit hohem Zuspruch, so präsentiert.

Heute steht alles unter dem neugierig machenden Motto „Zeit Gold Objekten“.
Ein kleines bisschen unserer Neugierde durften wir ja eben schon stillen: Die tolle Performance von KNN haben wir gerade bereits als kreativen Appetitmacher erleben dürfen.

Eigentlich ist es ja immer merkwürdig, viel gesprochenen Text zu einer viel imposanter sprechenden Kunst zu präsentieren. Ich bitte deshalb vor allem die Künstler selbst um Nachsicht, wenn ich das trotzdem bewusst tue. Denn Kunst hat ja auch den Sinn, unserem Leben einen ganz besonderen Spiegel vorzuhalten. Keinen Zerrspiegel, sondern eine Art Tiefenspiegel in unsere eigene Seele.

Und der Bezug zur Zeit ist allein schon in Form der Verweildauer vor einem Kunstobjekt gegeben.
Denn Kunstgenuss heißt immer so etwas wie ein Ausbrechen aus Zeitzwängen, das Innehalten, das ganz bewusste Zeit-Nehmen in einer zeitarmen Umwelt. Das Betrachten wiederum ist dann nichts Anderes als ein sinnübergreifendes Hineinhören in eine bildreiche Sprache, die uns zusätzlich ganz persönlich anspricht.

Bildreiche Sprache hat dabei den großen Vorteil, dass sie beides erzeugt: ein Wachrütteln von inneren Gefühlen und ein Aufrütteln unserer rationalen Gedanken. Gerade unsere Denkstrukturen brauchen das ganz besonders, wenn sie müde werden und sich mit scheinbar Alltäglichem völlig kritiklos abfinden.
Und worüber, liebe Freundinnen und Freunde, kann man besser nachdenken als über ein neugierig machendes Motto:


Goldene Zeit-Verschiebung …


Das klingt irgendwie recht simpel, aber nur auf den allerersten Blick. Deshalb lohnt es sich, die Worte noch einmal ruhig und einzeln auf dem Munde zergehen zu lassen:


Goldene – Zeit – Verschiebung…


Das Wunderbare an einer solchen Wortkombination ist dann immer das „Haare raufen“, stets verbunden mit der ewig aktuellen Frage „Was wollen uns die Künstler mit so etwas eigentlich um Himmels Willen sagen?“.

Eine sehr förmliche Antwort darf ich Ihnen und euch allen natürlich mit einem Kurz-Werbeblog für die Stadt Osnabrück und für den Fachbereich Kultur geben: „Goldene Zeit-Verschiebung“ beinhaltet eine künstlerische Auseinandersetzung mit dem ewig jungen Thema „Zeit“.
Und exakt die ist in unser diesjähriges Kultur-Motto „100 Tage, ein Thema ZE:IT“ eingebunden. Was wollen die Künstler uns also mit diesem ganz speziellen Beitrag zu unserem Jahresmotto mitteilen?
In jedem einzelnen Element dieser Ausstellung flüstert oder schreit uns sogar schon viel früher eine riesige Menge von Antworten entgegen. Zum Beispiel auf die lapidare Frage, was Gold, Zeit und deren Verschiebung überhaupt miteinander zu tun haben. Wenn das stimmt, natürlich.

Also: Haben denn allein Gold und Zeit überhaupt etwas miteinander zu tun? Wir können da auch zweifeln. „Mit einer Unze Gold kann man keine Unze Zeit kaufen“ lautet nämlich bereits eine uralte chinesische Weisheit.
Passt der Zusammenhang gemäß der fernöstlichen Erkenntnis also doch nicht?

Trotzdem wissen wir natürlich von Gold, das mit der beweglichen Zeit mal mehr, auch mal viel weniger wert ist. Alles regelmäßig nachzulesen in irgendwelchen Kursen-Nachrichten, ganz nahe bei den berüchtigten oder ersehnten Börsennotizen im Wirtschaftsteil. Auch die Goldbarren, die hier im Raum verteilt sind, versprühen schon eine solche Anspannung.

Wenn wir aber schon in der Welt der Börse sind: „Ein Optimist kauft Gold und Silber, ein Pessimist Konserven“ gilt dort als superschlaue, allerdings anonym gebliebene Anleger-Weisheit. Passt heute irgendwie zur aktuellen Debatte über das Anlegen von Speise-Vorräten für Krisenfälle in späteren Zeiten, oder auch nicht? Gold besitzt also einen Zeitwert. Und damit ist es für uns zugleich ein Transfer-Produkt, um über die Zeit an sich nachzudenken.

„Die Menschen werden geboren, die Menschen sterben, und die Zeit dazwischen verbringen sie mit dem Tragen der Digitaluhren“.

Dies hat einmal Douglas Adams gesagt. Jener britische Schriftsteller, der die geniale Science-Fiction-Reihe „Per Anhalter durch die Galaxis“ geschaffen hat. Wenn ich mich hier so umschaue, könnte Douglas Adams durchaus bei einigen der hier befindlichen Kunstobjekte Pate gestanden haben. Denn wir sehen hier ganz häufig eine Anspielung auf ein „Uhr-Wesen“, das uns hier wie ein „Unwesen“ erscheint:

Schon die sogenannte Einlasskarte ist eine Stempelkarte für eine Stempeluhr, die mich und viele hier an vorzeitlich wirkende, aber selbst noch erlebte Arbeitszeitbelege erinnern. Ich höre in meinem Inneren immer noch ein lautes „Bing“, das mich an den Arbeitsbeginn oder an den Feierabend, also an den Start in die freie Zeit, erinnert hat. Interessanterweise ist die klobige Stempeluhr gekoppelt mit einer Hand mitsamt Selfie-Stick.
Der gilt ja heute als der moderne Zeitnachweis darüber, dass wir irgendwo dabei gewesen sind, um es allen im Netzwerk möglichst zeitnah mitzuteilen.

Nachdenklich stimmen uns auch die verschiedenen, eigenwillig vergoldeten „Zeit“-Ausgaben. Wir sehen goldüberzogene Flächen, unter denen sich versteckte Nachrichten verbergen. Zu sehen ist ein Zigarrenraucher. Soll er die alte Weisheit der Nikotin-Werbung verkörpern, dass Rauchen uns Zeit und damit Freiheit verschafft?
Oder eine vergoldete Zeit-Ausgabe mit dem fett gedruckten Wort „Demokratie“.
Will uns hier ein Künstler sagen, wie wertvoll und gleichzeitig verdammt zart und vergänglich diese Form des gesellschaftlichen Zusammenlebens innerhalb unserer gewalttätigen, profitorientierten und auch hektischen Welt ist?

Unverkennbar fällt unser Blick auch auf eine Art riesigen, gänzlich goldenen Altar. Mich persönlich erinnert der an den Dreiklang Zeit-Gold-Kirchenmalerei. Denn es galt ja über lange Jahrhunderte als Unding, den jenseitigen Himmel blau oder gar blau und bewölkt zu malen. Der zeitlose göttliche Himmel musste zwingend, wenn ich mich da recht erinnere, bis zum ebenfalls göttlich genannten Maler Giotto golden und niemals anders dargestellt werden. Gold also im religiösen Sinne als Übergang von der zeitlich beschnittenen irdischen Welt in die zeitlose Unendlichkeit des Himmels.
Ist diese künstlerische Anspielung auf das zeitlose Jenseits auch so etwas wie eine „Zeit-Verschiebung“, die ja auch im Titel dieser Ausstellung vorhanden ist? „Zeit-Verschiebung“ klingt ja ein klein wenig nach „Time-Machine“, dem klassischen Zeitreise-Science-Fiction von Georg Orwell.
Die Zeit vergeht nicht schneller als früher, aber wir laufen eiliger an ihr vorbei“, hat der übrigens einmal sein Verhältnis zum Phänomen Zeit zum Ausdruck gebracht.

Ich hoffe, meine Feststellungen und Fragen haben zum Austausch angeregt. Und ich bin mir sicher, dass die anwesenden Künstler um Johannes Angerbauer-Goldhoff und die Leute vom KollektivNN gerne mit uns – und wir mit ihnen - reden möchten.
Darum schon jetzt ein herzlicher Dank an die Künstler und an den BBK, dass ihr das Zeit-Thema so aktiv aufgegriffen habt. Gerne hat die Stadt die Ausstellung gefördert.

Jetzt wird jeder zum Künstler. Und die Künstler geben den Rahmen.


Herzlichen Dank!

 
 
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