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4. Biografisch-künstlerischer Weg
 
4.4. Die künstlerischen Phasen (1985 - 1999)
 
4.4.1. Die Siegellackphase als Aufbruchsphase (1985 - 1988)
 
4.4.1.1. Schlüsselwerk "El Dorado"
 
Mit der stark empfundenen Zwiespältigkeit des Goldes setzte sich Johannes Angerbauer bereits seit 1983 auseinander. Wer vom Sohn eines renommierten stilbildenden Schmuckkünstlers jedoch preziöse Ästhetik erwartet, wird mit genau den gegensätzlichen Sichtweisen des Goldes konfrontiert. Angerbauer "geht es gerade nicht um das Preziöse, um den rein materiellen und geschmackvollen Aspekt (...)"(31), sondern er machte in seinen anfänglichen Wandskulpturen die Ambivalenz, die dunkle Seite dieses begehrten Edelmetalls, sichtbar. Gold sei nicht nur Geld, Ansehen und Macht, sondern ebenfalls brutal und blutig. Diese Sichtweise verdeutlicht das Werk "El Dorado", ein Schlüsselwerk Angerbauers, das sich in seinem Titel auf den Film "El Dorado" (Abb. 9) bezieht, der ihn zu seinem mentalen Umbruch führte.
 
 
EL DORADO - 1987   Johannes Goldhoff  

"El Dorado", 1987 mit Synonym Goldhoff rechts unten signiert.

110 cm x 149,5 cm, auf 1,5 cm starker Homogenplatte.

Materialien: Roter Pelikan Siegellack, väterliches Goldschmiedefell (32), Blattgold, Bindedraht. Schlachtenmesser aus dem ersten Weltkrieg: Metall, Holzeinsatz am Griff.

 
 
Der Titel, "El Dorado" bedeutet ursprünglich "Der Vergoldete"(33), im übertragenen Sinne bereits "Das Vergoldete bzw. das Goldene Land" und soll auf die blutige Eroberung Süd- und Mittelamerikas und auf die damit einhergehende Ausrottung der Indianerstämme aufmerksam machen. In der Vielschichtigkeit des Angerbauerschen Werkes ist dies nur eine von mehreren Sichtweisen, die mit den verschiedenen Seiten des Goldes verbunden sind.
 
Dieses Werk verdeutlicht in dieser Phase am Besten die emotionale Zwiespältigkeit des Künstlers und ist nach Angerbauers Aussage eines seiner Schlüsselwerke.
 
"Gold hat ein Doppelgesicht, das Höchste und Heilige wird mit ihm ebenso in Verbindung gebracht wie die unvorstellbaren Grausamkeiten."(34)
 
Die ausgewählten Materialien Goldschmiedefell bzw. zernarbtes Leder und roter Pelikan Siegellack, stehen sinnbildhaft für Blut und Haut, für Gewalt und Leiden. Die blutrote Farbe des Siegellacks symbolisiert die Wunden und Verletzungen von Mensch und Erde.
 
"In diesen beiden Materialien widerspiegeln sich für mich die Eigenschaften des Goldes. Nicht des Goldes wie es jeder kennt oder zu kennen glaubt, sondern die Eigenschaften des verborgenen, heimlichen und blutigen Materials."(35)
 
Der Siegellack ist ein Material, das durch Feuer geschmolzen wird, um sofort wieder zu erstarren. Mit blutrotem Siegellack werden Wertpakete, Dokumente und viele andere "wichtige" Dinge versiegelt und die Siegel angebracht, die wieder gebrochen werden, um den durch sie geschützten Inhalt preiszugeben.
 
Angerbauer verbindet den roten Pelikan Siegellack mit der christlichen Symbolik. Vom "Pelikan" geht die Sage um, "daß er seine Jungen, wenn sie die Eltern mit den Flügeln schlagen, tötet. Nach drei Tagen öffnet jedoch die Mutter ihre Seite und macht die Jungen durch ihr Blut wieder lebendig. Die Beziehung auf Christus, der durch seinen Kreuzestod die Menschheit zu ewigem Leben erweckte, ist bereits im Physiologus gegeben. In der Kunst erscheint der Vogel erst im späteren Mittelalter als Symbol des Todes und der Auferstehung Christi."(36) Bei Angerbauer allegorisiert der rote Pelikan Siegellack ebenfalls "Tod" und "Auferstehung". Der "Tod" steht für den Bruch mit seiner Vergangenheit und die "Auferstehung" steht für den Neubeginn.
 
Das Goldschmiedefell ist ein durch jahrelange Arbeit mit dem Gold beschädigtes Leder, mit der Aufgabe, Goldstaub und Materialabfall aufzufangen. Die Spuren der Arbeit wie Abschürfungen, Blut und Brandzeichen eingeprägt in ein organisches Material, der Haut, werden bewahrt, ein "häßliches, kaputtes", altes Leder, vor der Vernichtung gerettet, um in dem Werk "El Dorado" die Zeichen des Lebens zu zeigen.(37)
 
Die Ästhetik dieses Werks ist kraftvoll, wild, aggressiv und schmerzhaft in der Direktheit, mit der sie auf den Betrachter einwirkt. Schmerzhaft auch für den Künstler. In diesem Werk zentrieren sich sämtliche Ambivalenzen im Hinblick auf das Thema Gold und Angerbauers persönlich gespaltene Sichtweise.
 
Einerseits steht das Werk für Angerbauers künstlerischen Befreiungsakt, andererseits steht es für die Doppelcharakteristik, die dieses Metall aufweist.
 
Das im Bildzentrum verarbeitete letzte väterliche Goldschmiedefell mit seinen Blutstropfen, die sich mit denen des Sohnes vermischen, wird Angerbauer immer an seinen Vater und an die verweigerte Aufgabe, das Schmuckatelier weiterzuführen, erinnern. Es stellte sich aber auch Verehrung und Hochachtung für den Vater ein, als er dieses persönliche Goldschmiedefell in einer Phase der inneren Zerrissenheit verarbeitete und somit auch schmerzhafte Momente seines Vaters in einem Werk verewigte.
 
Das Goldschmiedefell ist genau in den Bildmittelpunkt gesetzt. Es wird am oberen Rand und an der rechten Seite von einem Bindedraht, hauptsächlich aber von dem hinunterströmenden Siegellack gehalten, der die Ränder des Leders säuberlich umrahmend einklebt. Am oberen Goldschmiedefellrand tropft ein Zuviel an Siegellack in ungleichmäßigen Bahnen über den Rand hinein in das Leder. Das zernarbte Leder wird gleichmäßig von dem nach unten fließenden Siegellack eingerahmt. Es suggeriert kleine Bäche von Blutströmen - Magmaströmen vergleichbar. So wie Siegellack durch Feuer erhitzt und flüssig gemacht wird, um dann, bevor er erkaltet und erstarrt, schnell verarbeitet werden zu können, so fließt auch das heiße Magma in flüssiger Form den Vulkan hinunter, bis es zu Lava erstarrt. Die Bereiche, die vom Gasbrenner zu heiß geworden sind, platzen als sandige, körnige Grünspanspuren auf.
 
Das Schlachtenmesser ist in der unteren Hälfte des Werks auf das Goldschmiedefell aufgenagelt. Die Spitze zeigt nach oben. Die Blutrinne des Messers ist blattvergoldet. Eingerahmt wird das Messer durch die drei bereits von Angerbauers Vater mit Siegellack verschlossenen Brandlöcher.
 
Das Goldschmiedefell, das die menschliche Haut mit all ihren Verletzungen und Wunden symbolisiert, wird in seinem Zentrum brutal mit dem Schlachtmesser konfrontiert. Das Messer mit seiner blattvergoldeten Blutrinne zeigt überdeutlich im Bildmittelpunkt den grausamen Kampf zwischen den Menschen, die ihn anführen in ihrer Gier nach Macht und denjenigen, die darunter leiden müssen. Zwischen ihnen steht das Gold. Das Blattgold legt sich wie ein schützender Mantel über die Blutrinne und verdeckt die grausamen blutigen Spuren des Messers. Intensiviert wird diese Bildaussage durch die drei umgebenden Siegellackpunkte, die die Wunden symbolisieren sollen. In dieser grotesken Darstellungsweise spiegelt sich deutlich die Ambivalenz des Goldes. Die vom Künstler verwendeten ausdrucksstarken Materialien verbinden sich beim Betrachten des Werks mit den eigenen Gefühlen des Rezipienten. Es beeinflußt das Denken, Fühlen und Tun.
 
"Im mißhandelten Gold wird die fundamentale, nicht mehr hinterfragbare Tragik der menschlichen Existenz sinnlich greifbar. Denn Gold ist (für Angerbauer), was es in der Überlieferung aller Kulturen seit jeher war: Medium des Mysteriums, vieldeutig gleißender Spiegel verborgener Gründe des Seins und Symbol einer Wirklichkeit jenseits des oberflächlichen Realen."(38)
 
Nicht ohne Grund greift Angerbauer zu dem vieldeutigen Material Siegellack. Die rote Farbe symbolisiert Aggressivität. Zugleich ist Rot auch die Farbe der Liebe, aber eben auch des Blutvergießens.
 
Eine weitere Eigenschaft des Siegellacks ist, daß sich die Farbe im Laufe der Zeit durch Lichteinwirkung verändert. Sie bleicht aus. Das Rot wird zu Rosa und nimmt in seinem Endstadium eine helle beige-braune Farbe an. Dieses Veränderungsprozesses war sich Angerbauer von Anfang an bewußt. Das Werk begleitet somit seinen Lebensweg.
 
Zum heutigen Zeitpunkt hat es das Stadium dunkelrosa erreicht. In Zukunft wird das Werk zu einem von Angerbauer bestimmten Zeitpunkt weniger Aggressivität und mehr Ruhe ausstrahlen. Der zunächst noch aggressive rote Hintergrund wird die weiche Farbe des beigen Goldschmiedefells annehmen. Dieser Entwicklungsprozeß wird von Angerbauer selbst gesteuert, indem er das Werk dem Licht abwechselnd aus- bzw. nicht aussetzt. Hintergrund und Vordergrund verschmelzen zunehmend zu einer monochromen Einheit. Dabei steht das Schlachtenmesser nicht mehr so aufdringlich im Bildzentrum. Aber nach wie vor sind die "Grausamkeiten" im Messer verkörpert.
 
Das Gold jedoch wird immer seinen strahlenden Glanz behalten. Die Zwiespältigkeit wird bleiben und die von Angerbauer intendierte Nachdenklichkeit wird bewahrt werden.
 
Das Siegellackwerk steht stellvertretend für weitere Wandskulpturen in dieser ersten, für Angerbauers Auf- und Umbruch charakteristischen Phase. Während in dieser Phase die Prozeßhaftigkeit auf die Materialien und ihre Zusammenstellung beschränkt war, änderte sich dies bei den folgenden Werken bzw. Handlungen.
 
 
 
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(31) Angerbauer 1987a (zit. in Steyrer Zeitung 1987)
(32) Wichtigstes Utensil des Goldschmiedes. Der Goldschmied sitzt an einem zum Halbmond ausgeschnittenen Tisch. Das Goldschmiedefell, ein Tierhautleder als Auffang, befindet sich unter der Halbkreisöffnung des Tisches und sammelt den Goldstaub und andere Abfälle, die durch das Sägen und Feilen entstehen. Es sammelt jedoch auch Blutstropfen auf, wenn sich der Goldschmied verletzt.
(33) Der Begriff "El Dorado" stammt von einem uralten Brauch eines Indianerstammes in Südamerika. Jedesmal, wenn ein neuer König gekrönt wurde, wurde dieser mit Goldstaub bedeckt und so auf einem Floß den Fluß abwärts gefahren und dem Stamm vorgestellt.
(34) Chvatal, Michael 1987, S. 6
(35) ebd.
(36) Molsdorf, Wilhelm 1984, S.67
(37) Angerbauer 1988, S. 5
(38) Angerbauer 1987b (zit. in Steyrer Zeitung 1987)